"Ein stechender Pilzgeruch wabert durch das Hotelzimmer. Während ich an die Decke starre, kommt es mir vor, als hörte ich das widerliche Kaugeräusch von Insekten oder gefrässigem Schimmel. Ich stelle mir den Zerfallsprozess vor, wie die Zeit unbeirrbar, über alle noch so holprigen Ereignisse hinweg verrinnt. Um mich zu vergewissern, gleitet mein Blick über die Wand, über den leicht nach vorn gekippten Rahmen und den schräg stehenden Stuhl bis hin zum Tisch, auf dem die entdeckten Unterlagen liegen.
Eben habe ich das Album aufgeschlagen, dessen von kreisrunden Löchern durchsetzte Seiten sich mit Leben füllten, sobald man schneller blätterte. Zum Vorschein kam die Spur der Würmer durch die Dicke des Papiers. Ihnen war die Abfolge der Daten, von denen das Tagebuch berichtete, vollkommen gleichgültig. Sie frassen sich durch Tage und Monate, vertikal zur vergehnden Zeit. Vor meinen Augen nahmen die verrückten Quantentheorien, die Relativität, die Planck-Skala, das Zwillingsparadox und Zeitschleifen Gestalt an. Mir war, als ginge ich rückwärts und als würde hinter meinen Fersen nicht mehr sein wie zuvor" (Nicolas Savary)
Fotoalben, handschriftliche Briefe und andere Dokumente haben den Fotografen Nicolas Savary dazu gebracht nach Argentinien zu reisen. Er ist auf den Spuren von Louis de Boccard, ein Angehöriger einer Freiburger Patrizierfamilie, der Ende des 19. Jahrhunderts nach Argentinien ausgewandert ist. Savary wollte die lückenhafte Biografie zurückverfolgen und die Momente, die er unterwegs durch die Landschaften erlebt hatte, festhalten. Mit seinen Bildern nimmt er einem mit auf seine Reise und führt einem seine Vorstellung des Zerfalls vor Augen, zum Teil sticht einem sogar der Pilzgeruch des Hotelzimmers in die Nase.
Es ist ihm gelungen die Neugierde auf mehr zu wecken und vielleicht selbst auf dem Dachboden oder im Keller nach alten Fotoalben und anderen Dingen zu suchen und sich auf eine Reise in die Vergangenheit zu machen oder tief in die eigene Familiengeschichte einzutauchen und genauso auf Spurensuche zu gehen.
Nicolas Savary (1971*) ist in Bulle geboren und aufgewachsen. Heute lebt und arbeitet er in Lausanne. 1998 hat er an der ECAL ein Diplom in bildenden Künsten erlangt. Seit 2008 ist er Leiter der Hochschulbildung an der Ecole de Photographie de Vevey. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgestellt unter anderen in der Coalmine, im Centre de la photographie de Genève, dem Photoforum Pasquart und anderen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 6. Mai 2018 im Musée de l'Elysée in Lausanne zu sehen. Das Projekt entstand als Gemeinschaftsproduktion des Musée de l'Elysée und des Musée gruérien in Bulle, das den Nachlass Louis de Boccards besitzt. Dor wird der zweite Teil der Ausstellung vom 27. Januar bis 28. April 2019 zu sehen sein.